Jannis Kounellis, Senza titolo, 1967 (Campi, Pappagallo, Cotoniera)

Jannis Kounellis

Senza titolo, 1967

Campi: Stahl, 8 Behälter, je 30 x 200 x 100 cm; Erde, Kakteen
Pappagallo: Stahl, Steingut, 140.5 x 100.5 x 33 cm; Papagei
Cotoniera: Stahl, 115.3 x 100 x 100 cm; Baumwolle

von Christel Sauer


Jannis Kounellis, Senza titolo (Campi, Pappagallo, Cotoniera), 1967
© Jannis Kounellis / 2018, ProLitteris, Zurich. Foto: Fabio Fabbrini, © Raussmüller

Campi (Kaktusfelder), Pappagallo (Papagei) und Cotoniera (Baumwollbehälter) sind 1967 für eine Einzelausstellung in der Galleria L’Attico in Rom (November – Dezember) entstanden. Der Galerist Fabio Sargentini hatte seinen Freund Jannis Kounellis schon zum zweiten Mal in diesem Jahr eingeladen, seine Räume zu nutzen.1 Kounellis, damals 31-jährig, hatte nach gemalten Zahlen- und Zeichenbildern Werke geschaffen, die völlig aus dem Rahmen des Gewohnten fielen. Er verwendete Kohle, verbrannte Holzstücke und Jutesäcke – Materialien, die keinen Bezug zur Kunst suggerieren, sondern Bestandteile des Arbeitsalltags sind und in der Art, wie Kounellis sie platzierte, als Appelle an eine unvoreingenommene Wahrnehmung wirkten. In der vorangegangenen Ausstellung mit dem Titel „Il Giardino; I Giuochi“ (Der Garten, die Spiele; April – Mai) hatte Kounellis bereits Vögel in ein Werk einbezogen: kleine Zebrafinken, die in ihren Käfigen zwitschernd ein weisses Rosenbild2 flankieren. Das Unverfälschte, Echte, das sich in den Vögeln zeigt, findet eine Variante in der Ausstellungsbroschüre von Campi, Pappagallo und Cotoniera, wo Kounellis den üblichen Katalogtext durch ein Gespräch mit Kindern vor dem Werk ersetzte3. Ihre spontanen Äusserungen – auch wenn sie nicht viel Sinn machen, wie Kounellis sagt4 – sind ein unverbildeter Ausdruck der Offenheit und Direktheit, um die es ihm geht.

Kounellis‘ Werke dieser Zeit sind die Zeugnisse einer neuen Ästhetik. Campi, Pappagallo und Cotoniera sind Höhepunkte einer veränderten Kunstauffassung, die dem Kunstwerk die Künstlichkeit nahm und den Betrachtern die vertraute Distanz zu den Werken. Kounellis hat hier eine Situation geschaffen, die alles auf der Ebene der Realität miteinander verbindet: die Gegenstände, die technischen wie die organischen, ihr Umfeld und die Rezipienten. Er hat den Formen, Farben und Materialien der Natur eine klare Struktur gegeben, hat sie in breitrandige Stahlbehälter und vor ein Metall-Tableau platziert und so einen Kontrapunkt zu ihrer natürlichen Wildheit geschaffen. Die technischen Elemente, einerseits ein Kontrast zu Pflanzen und Vogel, Erde und Baumwolle, sind andererseits die ästhetische Klammer, die das Ganze zu einem Bild vereinigt. Die Natur tritt geordnet in Erscheinung – kultiviert, doch ohne Verlust ihrer Vielfalt und Ursprünglichkeit. In dieser Fähigkeit, scheinbar Unvereinbares überraschend zu verschmelzen, den Kunstwerken den gleichen Grad an Realität zu geben wie er ihrer Umgebung zueigen ist und sie zugleich mit der Poesie imaginierter Bilder zu laden, liegt die Bedeutung von Jannis Kounellis.

Jannis Kounellis, Senza titolo (Pappagallo), 1967
© Jannis Kounellis / 2018, ProLitteris, Zurich. Foto: Fabio Fabbrini, © Raussmüller

Als komplexe räumliche Einheit wurden Campi, Pappagallo und Cotoniera eines der am häufigsten reproduzierten Kounellis-Werke. Vor allem der Papagei vor der Stahltafel erlangte als Neudefinition des Bildes Symbolwert für die inhaltlich wie formal rigoros erweiterte Kunst – mit einem spezifischen Bezug zu deren phantasiereicher Entwicklung in Italien. Bei Ausstellungen wurde die Rolle des lebenden Tiers oft als Provokation missverstanden und löste entsprechende Proteste aus. Anfänglich war es Kounellis‘ eigener Papagei, der sich auf der Stange vor der grauen Tafel die roten und blauen Federn putzte und mit Neugier auf das tägliche Publikum wartete. Später war es meist ein Gelbbrust-Ara, der den Umgang mit Menschen gewohnt war und schnell eine enge Beziehung zu seinen Betreuern entwickelte.

Kounellis hat seine Werke immer wieder in andere Zusammenhänge gestellt. Er hat sie als Elemente eines Prozesses genutzt, der die Veränderung als Prinzip lebt. Mit jeder neuen Umgebung gehen die Teile eine neue Verbindung ein. Auch wenn sie zusammen einen Raum bilden, ist die Wirkung an keinem Ort gleich wie zuvor. Da alles in Beziehung zu allem anderen besteht – zum Umfeld, zu Licht, Raum und Nachbarschaft – begegnet den Besuchern stets ein unerwartetes Bild. Die Stimmung, die es hervorruft, greift jeweils neu auf sie über und steigert ihr Staunen über die Intensität dieser sie vereinnahmenden Kunst.

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus der Publikation Jannis Kounellis: Senza titolo, 1967 (Campi, Pappagallo, Cotoniera) (2016) aus unserer dreiteiligen Publikationsserie zu Werken von Jannis Kounellis. Alle drei Publikationen bieten einen ausführlichem Text von Christel Sauer und grossformtige Abbildungen der Werke. Finden Sie mehr Infomationen oder bestellen Sie in unserem Bookshop.


23.05.2018

1 Genau genommen zum dritten Mal. Zwischen den Einzelausstellungen fand von Mai bis Juni 1967 mit Kounellis‘ Beteiligung die Gruppenausstellung „Lo spazio degli elementi: fuoco, immagine, acqua, terra“ statt (Der Raum der Elemente: Feuer, Bild, Wasser, Erde – mit der im Italienischen mehrdeutigen Abkürzung FIAT).

2 Senza titolo, 1967; Stoff auf Leinwand, Masse der Leinwand: 250 x 320 cm; 24 Vogelkäfige mit je einem lebenden Vogel.

3 „Kounellis“, Rom: Galleria L’Attico, Nr. 86, Dezember 1967.

4 Jannis Kounellis im Ausstellungskatalog „Jannis Kounellis“, Rimini: Musei Comunali, 1983; Seite 55.

© 2017 Raussmüller