InK. Halle für internationale neue Kunst

«Künstlern, die willens sind, ein grosses Werk zu realisieren, wozu ihnen aber die Mittel fehlen, bieten wir Materialien und Werkzeuge, Räume, Mitarbeiter und Informationen […]. Vor allem aber hoffe ich, den Künstlern, die hier arbeiten, Interesse anbieten zu können. […] Damit unsere Künstler sich vom Interesse getragen fühlen, braucht InK ein Publikum. Ein Publikum, das immer wieder vorbeischaut, um sich zu orientieren, was gerade läuft; das sich schon um das Entstehen des Werks kümmert, das wagt, mit dem arbeitenden Künstler zu diskutieren.»1

Mit diesen Worten zitierte der „Tagesanzeiger“ Urs Raussmüller 1978 am Tag vor der Eröffnung von „InK. Halle für internationale neue Kunst“ in Zürich. Raussmüller stand kurz davor, sich mit „InK“ als einem neuartigen Kunstförderungskonzept auf ein äusserst interessantes Experiment mit Kunst und Gesellschaft einzulassen. Was daraus resultieren würde, war zu diesem Zeitpunkt zwar noch völlig offen – doch klar und bestimmt waren der Tatendrang und die feste Überzeugung des Initiators, dass mit der damals neu entstehenden Kunst anders als bis anhin verfahren werden musste; dass Künstler, um produktiv sein zu können, ein tragendes Umfeld benötigten, das Öffnung schaffte und den Austausch zwischen Künstlern, Werken und Rezipienten ermöglichte. Ein Konzept, das es mit diesem umfassenden Angebot noch nicht gab.

Raussmüller wusste genau, wovon er sprach. Als Künstler war er selbst damit konfrontiert gewesen, dass die Förderung junger Kunstschaffender sich oft auf die blosse Vergabe eines finanziellen Beitrags beschränkte, während die Künstler im entscheidenden Moment – in dem sie vor Ideen sprühten und Mittel, Raum und Assistenz zum Experimentieren und Umsetzen von Konzepten brauchten – auf sich allein gestellt blieben. Dem setzte Raussmüller mit „InK“ ein Kunstförderungskonzept entgegen, das endlich ein umfassendes war. Es setzte entschieden beim Künstler und der Entstehung von Kunst an, schloss dabei aber nie das Gegenüber, also das Publikum, aus. Vielmehr band es dieses aktiv in die künstlerischen Entstehungsprozesse mit ein, sodass Barrieren zwischen Künstlern und Publikum überwunden und ein Austausch auf Augenhöhe stattfinden konnte.

Was sich mit «InK» vor genau 40 Jahren am 15. Juni 1978 manifestierte, war auch ein Auftakt im Wirken von Urs Raussmüller. Es war der Auftakt zu einer Reihe wegweisender Kunstinstitutionen: die Hallen für Neue Kunst, Schaffhausen, das RENN Espace in Paris oder das Casino Luxembourg. Sie alle gingen trotz ihrer Unterschiedlichkeit von ein und derselben Prämisse aus: Kunst muss unmittelbar erlebt werden können. In der Folge waren das Errichten räumlicher Situationen und innovativer Kunstvermittlungskonzepte das Resultat der Überzeugung, dass kraftvolle Werke der Neuen Kunst – in einem räumlichen Umfeld adäquat in Bezug zu Licht und zueinander gesetzt – es vermögen, kreatives Handeln weit über sich selbst hinaus anzuregen. Mit der gegenwärtigen Erweiterung der «Raussmüller Hallen» als Arbeitsort mit Kunstwerken erfährt diese Überzeugung eine weitere Realisierung.

Unter diesen Umständen erscheint der Rückblick auf den richtungsweisenden Charakter des «InK»-Konzepts von hoher Aktualität. In ihrem Text zeichnet Christel Sauer – die von Anfang an mitgewirkt hat – den erstaunlichen Weg nach, den «InK», die Künstler, die Kunst und die Gesellschaft im Zürcher Umfeld der späten 1970er und frühen 80er Jahre beschritten. Der Text wurde 2012 im Kunstmagazin „DU“ unter dem Titel „Zeichen und Wunder: das InK in Zürich“ publiziert und erscheint hier in einer leicht gekürzten Fassung.

 

InK. Halle für internationale neue Kunst

von Christel Sauer


Eingang zu InK, Limmatstrasse 87, Zürich, 1978
Foto: © Raussmüller

Was heisst «InK»? Es ist die Kurzform für: Halle für internationale neue Kunst. Eigentlich müsste es also HinK heissen, doch das wäre nicht so schön gewesen, darum haben wir die Institution InK genannt. InK bestand von 1978 bis 1981. In dieser Zeit haben wir rund sechzig Ausstellungen mit zweiundachtzig Künstlern durchgeführt – dazu Aktionen, Konzerte, zum Beispiel von Steve Reich, Dichterlesungen von John Giorno, Hans Carl Artmann und Gerard Malanga aus Warhols Factory, ausserdem Filmvorführungen, Vorträge und Diskussionen. John Baldessari, Ed Ruscha und Lawrence Weiner haben den kreativen Freiraum genossen und sich für ihre Arbeiten im InK viel Zeit genommen. Jonathan Borofsky bemalte mit Hingabe Wände und Decke – seine erste Installation in Europa. Hanne Darboven füllte alle Räume mit einem politischen Manifest, und von dem durch das DDR-Regime geächteten A.R. Penck haben wir heimlich exportierte Bilder und Skulpturen gezeigt. Hans-Peter Feldmann edierte zur InK-Ausstellung die erste Nummer seiner Zeitung Image, und Sigmar Polke präsentierte eine Performance, die nahtlos in einen Tumult überging und später alle Züge einer Legende erhielt.

Urs Raussmüller und Lawrence Weiner im InK, Zürich, 1978
© Lawrence Weiner / 2018, ProLitteris, Zürich. Foto: © Raussmüller

Das Echo auf InK war gross – allerdings nicht im damals wenig an Kunst interessierten Zürich. In Holland, das in dieser Zeit tonangebend war in der neuen Kunst, in Deutschland und den USA reagierten Künstler und Kunstfreunde dagegen mit grossem Interesse auf einen Kunstort, für den es kein Vorbild gab. Ausgerechnet im spröden Zürich, und nicht etwa in Basel oder Bern, war das Modell einer exemplarischen Kunstförderung entstanden: Sie ging vom Künstler aus und bezog die Gesellschaft mit ein. InK war täglich geöffnet, der Eintritt war gratis. Die Halle war zugleich Werkstatt und Treffpunkt, Ausstellungs- und Aktionsort. Da selten alle Installationen gleichzeitig fertig waren, gab es immer wieder Überschneidungen und neue Kontexte. Künstler wie Robert Ryman und Bruce Nauman, inzwischen Heroen der Kunstgeschichte, begegneten sich hier und unterhielten sich mit Besuchern. Es herrschte eine lebendige, kreative Atmosphäre; die Künstler waren inspiriert und die Betrachter neugierig. InK war in Form und Inhalt tatsächlich eine Innovation.

Die Geschichte von InK ist geradlinig und – leider – kurz. An ihrem Anfang steht die Einladung der Direktorin des Migros-Genossenschafts-Bundes für Kulturelles und Soziales, Arina Kowner, an den Künstler Urs Raussmüller, im frisch gestalteten Foyer des alten Verwaltungsgebäudes am Limmatplatz seine Werke auszustellen. Raussmüller argumentierte gegen diese Form der Ausstellung und wurde daraufhin zum Berater für eine Neuausrichtung des Bereichs bildende Kunst ernannt. Er entwickelte ein Konzept für eine Kunstförderung, die bei der Produktion ansetzte – und damit auch den CEO Pierre Arnold überzeugte. Künstler, die etwas mitzuteilen hatten, sollten alle Voraussetzungen erhalten, um ohne kommerzielle Überlegungen Werke schaffen und vorstellen zu können.

Raussmüllers Konzept entsprach dem, was er sich selbst als Förderung gewünscht hätte: ein Visavis, das an neuer Kunst interessiert war; ein Honorar, um künstlerische Vorstellungen realisieren zu können; ein Ort, an dem diese Werke öffentlich gezeigt, bei Bedarf auch ausgeführt werden konnten; und schliesslich Rezipienten, die auf die Werke – sofern sie überzeugend waren – reagierten, indem sie sie erwarben.

InK-Architektur von Urs Raussmüller, Zürich, 1978
Foto: © Raussmüller

Im Rückblick ist es ein kleines Wunder, dass Raussmüller sein Konzept ohne grosse Auflagen umsetzen konnte. In kurzer Zeit fand er ein knapp 600 Quadratmeter grosses Gebäude an der Limmatstrasse 87. Es gehörte zur ehemaligen Werkzeugfabrik Reishauer und lag ideal zwischen der MGB-Verwaltung und dem Hauptbahnhof – in direkter Nachbarschaft zur Kunstgewerbeschule, deren Studierende in der Folge die interessiertesten Besucher der neuen Institution werden sollten. Innerhalb weniger Wochen hatte Raussmüller den Fabriktrakt in eine perfekte Ausstellungshalle umgebaut. Durch weiss gestrichene Wände unterteilt, umfasste sie vier grosse Räume und einen breiten Gang mit durchgehender Fensterfront. Sheddächer versahen drei Räume mit Tageslicht, der vierte hatte seitlichen Lichteinfall. Es gab einen grosszügigen Eingang mit Rezeption und Informationsstand und Nebenräume für Atelierarbeiten. InK wurde zum Modell für die Transformation eines Industriebaus in einen Kunstort.

Am 15. Juni 1978 haben wir InK eröffnet. Jannis Kounellis machte mit Klang und Russ eine suggestive Installation, und Robert Ryman hatte für den Anlass eine neue Gruppe von Gemälden geschaffen. Mit diesem starken Auftakt begann ein äusserst aktives Programm. Für die Durchführung der InK-Aktivitäten stellte der Migros- Genossenschafts-Bund eine halbe Million Franken jährlich zur Verfügung. Die Künstler nutzten das Angebot weit über unsere Erwartungen und mit beeindruckend kreativen Projekten. In den meisten Fällen beschränkten sie sich auf einen Raum, doch gelegentlich wurde die ganze Halle mit Gang und Eingangsbereich zur Ausstellungsfläche. Dies war bei den Installationen junger Schweizer Künstler der Fall, bei thematischen Ausstellungen (Poetische Aufklärung in der europäischen Kunst der Gegenwart … und With a Certain Smile?) und den grossen Ausstellungen von Bruce Nauman und Robert Ryman, die im InK zu Premieren internationaler Tourneen wurden.

Ausstellung „Robert Ryman“ im InK, Zürich, 1980
© Robert Ryman / 2018, ProLitteris, Zürich. Foto: © Raussmüller.

Heute sind die meisten Künstler der InK-Zeit in den Museen der Welt vertreten, und die damaligen Aktivitäten scheinen ziemlich normal zu sein. Doch Ende der 1970er-Jahre war diese Kunst neu und weitgehend unbekannt. Wir sind froh, dass der Migros-Genossenschafts- Bund auf das Angebot reagierte und mit den Werken, die Urs Raussmüller zum Ankauf vorschlug, das Fundament zu einer bedeutenden Sammlung legte. Und über die niedrigen Preise von damals kann man nur staunen. Wir sind auch froh, dass wir die InK-Ausstellungen in Dokumentationen (Nummer 1 bis 8) festgehalten haben, die mit Bildern und Texten spezifisch auf die Installationen eingingen. Dies stellte damals eine neue Form der Vermittlung dar und führt heute ein Stück Kunstgeschichte vor Augen. Mit den Texten haben wir zunehmend Studenten beauftragt, die so in engeren Kontakt zu den Künstlern kamen und mit einer Kunst vertraut wurden, mit der die Universitäten noch nichts zu tun hatten. Der kreative Patrick Frey gehörte zu unserer Truppe und Dieter Hall, der dann selbst zu malen begann, Peter Blum, der New Yorker Galerist, die Dozentin Laura Arici und viele andere. Man sieht: Die Wirkungsgeschichte von InK muss erst noch geschrieben werden …

Nach knapp drei Jahren mussten wir InK am 31. März 1981 wieder schliessen. Das Ende ist eine traurige Geschichte, denn es traf nicht nur eine grossartige Institution, sondern auch den Migros-Genossenschafts- Bund, der anschliessend für diese Form der Förderung nicht mehr zur Verfügung stand. Ein Stadtrat hatte Ambitionen, Stadtpräsident zu werden, und brauchte dazu ein Prestigeprojekt. Als Leiter des Schulamtes hatte er die Idee, in der ehemaligen Reishauer- Fabrik eine Berufsschule einzurichten. Wir kämpften um den separaten InK-Trakt, der sich bestens mit der Schule vertragen hätte, und auch im MGB setzte man sich – trotz internen Widerstandes – für die Fortführung der innovativen Kunstförderung ein. Scheinbar gewonnen hat den Kampf die Stadt: Die Schule wurde errichtet, der neue Stadtpräsident gewählt, aber unser InK verschwand.

Die letzte Ausstellung im InK war Das Kapital Raum 1970–1977. Ursprünglich hatte Raussmüller die Vorstellung, im InK-Trakt einen festen Raum für Joseph Beuys zu errichten und das Werk mit InK zu verbinden. Dies war dann aufgrund der Entwicklung der Stadtpolitik  nicht möglich. Stattdessen entstand eine rudimentäre Einrichtung, bei der Beuys seinen Unwillen über die befristete Präsentation von Gegenständen zum Ausdruck brachte, mit denen er ein «Monument » zu errichten plante. Raussmüller sollte ihm den Raum dazu schaffen – was er 1983/84 mit den Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen dann auch tat. In Zürich kam es nicht zu diesem Werk. Und die Stadt ging so weit, mit der Kündigung des Fabriktrakts vom MGB auch noch die Zerstörung von Raussmüllers Ausstellungsstruktur zu verlangen.

Performance von Bruce McLean im InK, Zürich, 1980
© Bruce McLean / 2018, ProLitteris, Zürich. Foto: © Raussmüller.

Die InK-Zeit war auch die Zeit der sogenannten Jugendunruhen. In Zürich traten sie viel später auf als in anderen Städten Europas. Man wunderte sich schon, dass es so lange dauerte, bis der Protest losging. Denn Gründe dazu gab es reichlich. Sie zeigten sich zum Beispiel in der Verwendung von Begriffen. Plötzlich wurde alles «alternativ» genannt, was nicht bürgerlich war. Dieses Wort markierte einen frisch etablierten Graben zwischen ordentlichen Menschen und «Chaoten»; «die Alternativen» standen für das Unangepasste, das man kontrollieren musste. Und je mehr dies geschah – ich erinnere mich an die Polizei-Phalangen mit ihren Schilden und Gummigeschossen, die bis ins InK trafen –, desto mehr erschienen sie als Bedrohung.

Auch wir wurden mit unserer Initiative für neue Kunst den «Alternativen» zugeordnet. Als das Ende von InK feststand, scheute sich der zuständige Stadtrat nicht, uns als Ersatz das AJZ, das Alternative Jugendzentrum, hinter dem Bahnhof anzubieten. Aus städtischer Sicht wäre es eine schöne Lösung gewesen, wenn man sich dieses Unruheherds durch «alternative» Umnutzung einfach hätte entledigen können …

Wir zogen es vor, uns von Zürich zu verabschieden. Wir hatten lange nach Räumlichkeiten gesucht, die eine Fortsetzung der InKAktivitäten erlaubt hätten. Aber damals wurden die Industriebauten in Zürich noch genutzt. Frei werdende Liegenschaften wie der ehemalige Blumenmarkt an der Hafnerstrasse erzielten wegen ihrer Lage als Spekulationsobjekte hohe Preise und gerieten damit schnell ausserhalb unserer Reichweite. Andere Gebäude im Bereich des Escher-Wyss- oder Löwenbräu-Areals im heute blühenden Zürich- West unterstanden aufgrund der damaligen Bauordnung einem strikten Umnutzungsverbot.

Sol LeWitt, Serial Project No. 1 (Set A), 1967, im InK, Zürich, 1980
© Sol LeWitt / 2018, ProLitteris, Zürich. Foto: © Raussmüller

Wir suchten also zunehmend ausserhalb von Zürich, aber auch hier waren die Angebote beschränkt. Ungenutzte Fabrikhallen, wie wir sie uns wünschten, waren noch eine Seltenheit und ihre Verwandlung in Kunstorte befremdend. Das Umdenken in Bezug auf Strukturen und Aktivitäten stand gerade erst an seinen Anfängen – während zugleich der Boom der aufwendigen Architekten-Museen begann. So dehnten wir unsere Suche immer weiter aus – bis wir im Frühjahr 1982 auf die leer stehende Schoeller-Textilfabrik in Schaffhausen stiessen. Damit begann ein neues Kapitel: die Hallen für Neue Kunst. Die Hallen in Schaffhausen waren eine Konsequenz von InK und zugleich eine Ergänzung. Mit ihrer Ausstellungsfläche von 5500 Quadratmetern stellten sie eine enorme Erweiterung dar. Hier konnte Urs Raussmüller bedeutenden Werken der Neuen Kunst das verschaffen, was die traditionellen Museen damals nicht bieten konnten und was die grossen Installationen nach einer Phase des Experiments am meisten brauchten: Raum und Zeit für ihre Wirkung. Nach dem schnellen Rhythmus der InK-Aktivitäten wurden sie so etwas wie ein Ort der Reflexion.

Auch die Hallen für Neue Kunst waren mit ihrem inhaltlichen und architektonischen Konzept ein Modellfall. Sie waren die erste ganzheitliche Transformation eines Fabrikbaus in ein Kunstmuseum und haben weltweiten Einfluss ausgeübt. Das Andy Warhol Museum in Pittsburgh beruft sich ebenso darauf wie Tate Modern in London und Dia:Beacon, Upstate, New York. Raussmüller nutzte seine InK-Erfahrung, um Kunst und Raum eine grosszügige Verbindung eingehen zu lassen. Das Ergebnis galt als ein kulturelles Manifest – ein «Museum im Sinne der Künstler».

 

2014, nach 30 Jahren Aktivität in Schaffhausen, schloss Raussmüller die Hallen für Neue Kunst und verlegte die Tätigkeiten seiner Organisation nach Basel.


1 Urs Raussmüller im Interview «InK: Der neue Ort für neue Kunst» im Tagesanzeiger, 14.06.1978.

 

© 2012/2018 Christel Sauer / Raussmüller