Mario Merz
Architettura fondata dal tempo – architettura sfondata dal tempo, 1977
220 x 900 x 500 cm
von Christel Sauer
Die Architektur, auf die sich der Titel «Architettura fondata dal tempo – architettura sfondata dal tempo» bezieht, ist ein Iglu – ein elementares, organisch geformtes Haus. Der Iglu ist locker mit Steinplatten und Glasscheiben bedeckt. An seiner Aussenkante wird er von der Spitze eines Keils getroffen, der ihn so „anstösst“, als wolle er ihn in Rotation versetzen. Der Keil, ein offenes Metallgestell, enthält gestaffelt aufgestellte Glasscheiben, auf die von einem Scheinwerfer – wiederum von aussen – ein Lichtstrahl gerichtet ist. Die Energie durchdringt die Glasschichten und erreicht die Halbkugel des Iglus mit vielfacher Brechung. Im Innern trifft sie auf ein anders geartetes Licht: eine feine blaue Neonröhre, die seitlich aus einer leeren grünen Weinflasche hervorquillt.
Das Werk entstand 1977 und wurde erstmals in der Galleria Salvatore Ala in Mailand gezeigt. Hier hatte es den Titel „Pietre del selciato e vetri rotti della casa distrutta riattivati per l’arte in una galleria – in un museo“ (Steine eines Strassenpflasters und zerbrochene Glasscheiben eines zerstörten Hauses, für die Kunst in einer Galerie, einem Museum, wiederverwertet). Unter diesem Titel wurde das Werk vielfach abgebildet. Ihren jetzigen Titel erhielt die „Architettura“, nachdem Mario Merz sie im April 1984 als Teil seiner langfristigen Einrichtung in den Hallen für Neue Kunst aufgebaut hatte. Urs Raussmüller hatte das dynamische Werk 1979 erworben und im gleichen Jahr in einer Gruppenausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München ausgestellt. 1982 schloss er es in eine Ausstellung in der Kunsthalle Basel ein, bevor er ihm 1984 einen festen Platz in Schaffhausen gab.
In den Hallen für Neue Kunst nimmt die „Architettura“ einen Platz ein, der den Blick durch die Fenster auf die andere Strassenseite ausdehnt. Die Gebäude dort sind aus den gleichen Materialien errichtet, Steinen und Glas – stabiler und ordentlicher als Merz’ Nomadenhaus, aber vielleicht nicht dauerhafter. „Architektur ist eine manchmal mathematische, manchmal dekorative Konstruktion, aber sie ist immer ein Bauwerk zur Beherbergung, um dem Menschen eine soziale Dimension zu geben. Es gibt keine Architektur an sich, sondern nur Architektur, die zu etwas dient. (…) Als ich den Iglu machte, habe ich mit Einbildungskraft gehandelt, denn der Iglu ist nicht nur die Elementarität der Form, sondern auch ein Ausgangspunkt für die Phantasie.“ (Merz in: Mario Merz, Musée d’art moderne de la ville de Paris und Kunsthalle Basel, 1981)
Der vorliegende Text ist ein Auszug aus der Publikation Mario Merz: Archittetura fondata dal tempo – archittetura sfondata dal tempo, 1977 (2009) aus der beliebten Mario Merz Series der Raussmüller Publications. Die Serie beleuchtet (bis dato) acht bedeutende Werke von Mario Merz durch kenntnisreiche Texte und grossformatige Abbildungen. Alle Monografien können Sie einzeln wie auch als komplettes Set in unserem Raussmüller Bookshop bestellen.
© 2009 Christel Sauer / Raussmüller
Photo: Fabio Fabbrini